„Wahr ist, was gefällt? Journalismus in der Glaubwürdigkeitskrise“ – unter diesem Motto stand der „Frankfurter Tag des Online-Journalismus“ am 25. April 2017 beim Hessischen Rundfunk. Dietmut Roether von epd Medien stellte zu Beginn die meines Erachtens wichtigste Frage des Tages: Welche Mitschuld tragen wir Medien an der Glaubwürdigkeitskrise? Aus Fehlern lernen – wem dies gelingt, kann positiv in die Zukunft schauen. Aber haben wir Medienmacher aus unseren Fehlern gelernt? Brexit, die US-Wahl, die Wahl in Frankreich, das Referendum in der Türkei, zahlreiche Anschläge … Ich stelle mir diese Frage immer wieder – und zweifle. Daher hat mich Dietmut Roethers Sicht auf die Dinge interessiert.
„Je weniger wir wissen, desto mehr versuchen wir, Gefühle zu produzieren“
Schon lange vor dem Brexit haben Deutschland und Europa über den Grexit diskutiert. Anlass war, wie Roether in ihrem Vortrag noch einmal in Erinnerung rief, die Abstimmung über die Sparauflagen in Griechenland im Juni 2015. Roethers bitteres Fazit: Kaum ein Beitrag – egal in welchem Medium – habe damals wirklich erklärt, über was die Griechen genau abstimmen sollten. Stattdessen habe es viele Emotionen gegeben. Vox-Pops auf den Straßen Griechenlands, Schalten zu Korrespondenten oder Beiträge über das Thema – hauptsächlich sei geschildert worden, wie dramatisch die Lage vor Ort sei.
Dietmut Roether, epd Medien
Inflation der Ich-Perspektive
In Online-Medien gebe es eine Inflation der Ich-Perspektive, mahnt Roether an. Der Höhepunkt im vergangenen Jahr sei der Versuch von Reporterinnen gewesen, über die Perspektive von Frauen zu schreiben, die eine Burka tragen – und zwar in dem die Reporterinnen selbst eine Burka anzogen. Was dabei herausgekommen sei, seien keineswegs Berichte aus der Perspektive der burkatragenden Frauen gewesen. Die Reporterinnen konnten nur berichten, was eine unter christlichen Werten aufgewachsene Frau fühlt, wenn sie Burka trägt. Und darin liege der entscheidende Unterschied.
Dietmut Roether, epd Medien
Erregung bedienen = Nachrichten mehrfach verpacken
Doch die Emotionsfalle schnappe auch an anderer Stelle zu: „Die Erregung muss bedient werden, deshalb wird dieselbe Information gleich mehrfach verpackt“, kritisiert Roether. Stichwort: Berichterstattung über die Flüchtlinge im Spätsommer/Herbst 2015. Stichwort: US-Wahlkampf. Und auch „So reagiert das Netz“-Artikel seien inzwischen selbstverständlich geworden, wenn ein weiterer Dreh für ein Thema gefordert werde. Die sozialen Netzwerke suggerieren, die Möglichkeit dem Volk aufs Maul zu schauen. Das sei aber genauso falsch, wie bei den Straßenumfragen im Radio oder Fernsehen, sagt Roether.
Und es gibt noch eine Falle: Wenn ein emotionales Bild nicht mehr greift, muss ein neues her. Bei der Berichterstattung über Flüchtlinge nennt Roether auch eines, das die Journalisten recht zügig gefunden hatten: Seehofer versus Merkel. Die ganze komplexe Flüchtlingspolitik sei damals nur noch auf den Konflikt zwischen diesen beiden Politikern herunter gebrochen worden. Plötzlich sei es nur noch um Innenpolitik gegangen.
Der hr hat den Vortrag von Dietmut Roether auf YouTube veröffentlicht:
„Wir sollten den schnellen Gefühlen misstrauen“
Was aber taugt als Mittel gegen die Emotionsfalle? Roethers Antwort darauf ist einfach: Recherche und Fact-Checking. Doch: „Recherche und Reflexion fallen im journalistischen Alltag hinunter“. Der emotionale Teaser sei zum Standard geworden, die Recherche nicht. „Wie der Fliesenleger Fliesen legt, muss der Journalist recherchieren“, sagt Roether.
Dietmut Roether, epd Medien
Wir Journalisten sollten nicht versuchen, komplexe Themen auf Emotionen herunter zu brechen. „Gute Beiträge entlassen die Nutzer nicht mit schnellen Reflexen, sondern mit einer Gedankenfülle“, sagt die Journalistin und erinnert: „Die große Aufgabe ist es, Komplexität sexy zu machen.“ Sie fordert: „Wir sollten Reflexe nicht einfach bedienen, sondern zur Reflexion einladen“ – und unterstreicht dies noch einmal mit folgender Mahnung: „Wir sollten den schnellen Gefühlen misstrauen.“